Interview

Die Zeit

Von der Welle lernen

Sebastian Steudtner, 24, reitet Riesenwellen vor der Küste Hawaiis. Neuerdings berät er auch Wirtschaftsbosse, wie man nach einem Sturz in die Tiefe den Aufschwung schafft von Kerstin Walker

DIE ZEIT: Herr Steudtner, Sie sind Deutschlands bester Tow-Surfer. Was genau machen Sie?

Sebastian Steudtner: Ich lasse mich von einem Jetski hinaus aufs Wasser bringen – und reite Riesenwellen, die bis zu 20 Meter hoch sind.

DIE ZEIT: Was war Ihre perfekte Welle?

Steudtner: Jaws am Strand von Hawaii. Jaws werden auch Haifischrachen genannt und können bis zu 70 Stundenkilometer schnell werden. Sie zu surfen ist, als hätte man eine Lawine im Rücken, die einen verfolgt.

DIE ZEIT: Ist das nicht riskant?

Steudtner: Ja. Beim kleinsten Fehler könnte ich mein Leben verlieren. Ich muss die Welle genau kennen, um Risiken zu mindern.

DIE ZEIT: Ihre Erfahrungen sind neuerdings auch in der Wirtschaft gefragt: Auf Kongressen sprechen Sie darüber, wie man sich in schwierigen Situationen behauptet. Was hat denn Surfen mit Wirtschaft zu tun?

Steudtner: Es gibt durchaus Parallelen. Beim Tow-Surfen ist eine perfekte Vorbereitung wichtig. Ich verbringe viel Zeit damit, meteorologische Berichte zu studieren. Orkane etwa sind mögliche Vorboten für Riesenwellen, die ja sehr selten sind. Sie entstehen nur an ein paar Tagen im Jahr. Und sie laufen nur an wenigen Orten der Welt, zum Beispiel vor Tahiti, Südafrika, Kalifornien oder vor Hawaii. Man muss die Lage sehr gut beobachten, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. In der Wirtschaft ist das genauso: Nur wer den Markt genau kennt, kann eine Marktlücke entdecken. Und für beide, Firmenbosse wie Tow-Surfer, ist der Respekt wichtig, den andere vor einem haben.

DIE ZEIT: Was heißt das konkret?

Steudtner: Auf Hawaii, wo ich einen Teil des Jahres lebe, läuft das so: Naht eine Riesenwelle, gibt es eine klare Hierarchie. Der angesehenste unter uns Surfern darf die Welle als Erster nehmen. Auf die Wirtschaft übertragen, heißt das: Ich muss mir Respekt verschaffen, beim Kunden wie bei den Konkurrenten.

DIE ZEIT: Wie können Sie die Risiken des Scheiterns minimieren?

Steudtner: Von meinem hawaiianischen Mentor lernte ich, die Wellen zu lesen – ob sie hoch und steil sind oder eher flach. Ich muss erahnen, wann sie brechen. Nur dann gelingt es mir, den Tunnel in den Wassermassen zu finden und auf dem Wellenkamm zu reiten. Während des Surfens filmt mich mein Team. Danach analysieren wir jede Bewegung bis ins Detail. So lerne ich, die Risiken einzuschätzen. Oft sitze ich zu Hause und stelle mir nur vor, wie ich Riesenwellen surfe. Dieses Kino im Kopf rüstet mich für den Ernstfall…

DIE ZEIT: …für den Sie sicherlich auch körperlich sehr fit sein müssen.

Steudtner: Ja. Ich mache Krafttraining, laufe tägliche mehrere Kilometer und gehe tauchen. Mein Ziel ist, die Luft so lange anzuhalten, wie es eben geht, ohne bewusstlos zu werden. Das trainiere ich mit den kanadischen Weltmeistern im Freitauchen. Wenn ich beim Surfen stürze, reißt mich eine Lawine mit, deren Wassermenge rund 25 olympischen Becken entspricht. Es kann eine Weile dauern, bis ich wieder auftauche. Auch dabei ist sehr wichtig, was im Kopf passiert. Man darf nicht in Panik ausbrechen.

DIE ZEIT: Und wie kann man das vermeiden?

Steudtner: Zur Übung schwimme ich in bis zu sechs Meter hohen Wellen. Dann rolle ich mich ganz klein ein, wie eine Kugel, und lasse mich mitschleudern. So lernt man, die Panik einzudämmen, die einen befällt, wenn man von Wassermassen mitgerissen wird. Neulich sprach ich bei einer Tagung einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Ich verglich die Weltwirtschaftskrise mit einer Riesenwelle, die über uns hereinbricht. Es ist fatal, nach einem solchen Brecher in einer Art Todesstarre zu verharren. Bei den Tow-Surfern gibt es eine Regel: Wenn du gewaschen wirst – also stürzt und durch eine Wasserlawine schleuderst –, musst du anschließend sofort wieder raus. Du musst die nächste Welle erfolgreich reiten. Sonst wirst du deine Angst nie wieder los.

DIE ZEIT: Diese Haltung lässt sich auf die allgemeine Lage übertragen?

Steudtner: Ja. Keiner wagt mehr etwas, alle sind wie gelähmt. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, durchzustarten. Wir Wellenreiter kennen das. Wir wissen, dass das Leben eine Herausforderung ist. Und dass es dazugehört, ab und zu auch mal gewaschen zu werden.

Foto: ErikAeder.com/BillabongXXL.com

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