Reise

Spiegel Online

Künstler auf den Seychellen

Inselträume aus Bronze

Ex-Beatle George Harrison und Kinokommissar Peter Sellers waren hier, bevor die Touristenmassen kamen: Auf den Seychellen fanden sie einen Rückzugsort vom Startrubel. Einige ihrer Zeitgenossen sind geblieben - weil sie als Inselkünstler große Erfolge feierten.

Wenn man Suzanna nach Peter Sellers fragt, grinst sie so breit, dass man ihren Goldzahn sieht. »Peter war ein bisschen verrückt«, sagt die Anfang 70-Jährige mit kurzem Afro-Haarschnitt. »Einmal, als er mich besuchte, packte er mein Schwein bei den Vorderfüßen und tanzte.«

Der Schauspieler, der als Inspektor Clouseau berühmt wurde, war einer der wenigen Privilegierten, die in den sechziger und siebziger Jahren das Geld hatten, um mit dem Privatflugzeug auf die Seychellen zu fliegen. Tourismus war hier damals noch ein Fremdwort.

Mit seinem Freund, dem Beatles-Gitarristen George Harrison, kaufte er das Land um die Anse Intendance, eine postkartenschöne Bucht im Süden der Hauptinsel Mahé. Suzanna lebte dort mit ihrer Mutter, einer Kokosnusspflückerin, in ihrer winzigen Hütte am Strand. Sie freundeten sich an, und Sellers baute der Familie ein neues Haus. Suzanna erklimmt den Hang zu ihrem Zuhause. Hühner flitzen aus den Büschen. Weiter unten schlägt der Indische Ozean mit hohen Brechern auf den Strand ein.

Zwischen den Bäumen sind die weißen Gebäude des Banyan-Tree-Hotels zu erkennen. Sie wurden um die vom Meer geschliffenen Granitfelsen in der Bucht gebaut und haben einen privaten Zugang zum Meer. Eine Nacht in der mit 826 Quadratmetern größten Villa der Anlage kostet so viel wie eine Monatsmiete in einer europäischen Großstadt.

Wo sich heute eines der teuersten Hotels der Seychellen befindet, schuf Peter Sellers damals sein Paralleluniversum. In der Anse Intendance lebte er seinen Gegenentwurf zum stressigen Star-Alltag in England. Mehrmals im Jahr fiel der Schauspieler mit befreundeten Künstlern und Musikern in der Bucht ein. Die Europäer hatten Cash, genossen das Leben und fanden hier ihren Rückzugsort.

Neuer Flughafen, neuer Andrang

»Die Künstler kamen nicht, um Party zu machen. Sie schöpften Energie aus der Natur«, sagt Suzanna. Doch mit der Einsamkeit auf den Seychellen war es bald vorbei, als die britische Königin den kleinen Flughafen auf Mahé einweihte. »Immer mehr Reisende kamen. Viele waren wie Peter«, erinnert sich Suzanna. Künstler, Kreative, Hippies und Idealisten, getrieben von ihrer Sehnsucht nach dem Paradies.

Einer von ihnen war Tom Bowers, ein Mann mit knochigen Fingern, der Flip-Flops und zu weit geratene Shorts trägt. »Wir wollten anders leben«, sagt er. Als Art Director in der Werbebranche hatte er viel Geld angehäuft, war beruflich ganz oben. Dann stieg er aus und wurde Bildhauer. Bowers Atelier liegt nördlich von Suzannas Haus.

Er sitzt in seinem zugewachsenen Garten. Umgeben von barbusigen Frauenfiguren und riesigen Schildkröten aus Bronze schmirgelt er am Modell für eine neue Büste: »Plötzlich wachte ich auf«, erzählt er. »Ich merkte, dass ich 20 Jahre lang bloß gearbeitet hatte.« Heute würde man es Burnout nennen, damals waren Resignation und Erschöpfung der Grund, warum Bowers samt Frau und Tochter in den Flieger stieg.

»Jeder auf der Insel wusste von Sellers und Harrison«, sagt der Bildhauer. »Die galten hier als absolute Exoten.« Auch Ravi Shankar, gefeierter Sitarspieler und ein enger Freund Harrisons, sei häufig zu Gast gewesen. »Ständig waberte Indopop über den Sand.« Man erzählte sich, dass die Musiker vom Flair der Bucht inspiriert waren, als sie ihr legendäres Benefizkonzert im New Yorker Madison Square Garden planten. 40.000 Anhänger folgten Harrisons Aufruf und kauften ein Ticket zugunsten der Kriegsopfer von Bangladesch. Der Ex-Beatle zog sich nach dem Konzert berauscht und erschöpft wieder für längere Zeit in die Abgeschiedenheit der Anse Intendance zurück.

Riesenpalmen aus Bronze

Und Bowers? Nach vier Tagen auf den Seychellen beschloss er, nie wieder nach Hause zurückzukehren. Anders als Sellers und Harrison: Die verkauften ihr Land an die Regierung, als die Seychellen unabhängig wurden. Sie kamen nie mehr in die Bucht auf Mahé zurück.

Bowers aber blieb. Statt Kampagnen zu kreieren, modelliert er, was ihn umgibt. Zuletzt orderte ein zahlungskräftiger Scheich eine sechs Meter hohe Palme, die er in Bronze goss. Nebenbei arbeitet Bowers in Victoria am National Conservatoire of Performing Arts mit dem einheimischen Nachwuchs. Er ist erfolgreich, wie früher. Für seine Werke legen Kunden in London, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Russland schon mal sechsstellige Summen auf den Tisch.

Es sind ins Süßliche abdriftende Klischees, die Tom Bowers in Bronze fixiert. Seine Skulpturen zeigen kokosnusspflückende Mädchen. Junge Mütter, die im Meer ihre Haare waschen, während ihre Kinder nach Muscheln für das Abendessen suchen. Oder eine junge Frau, die von einem Boot hechtet, um nach Schildkröten zu tauchen.

Auch sein Nachbar Michael Adams ist vor 40 Jahren ausgewandert. Heute steht er Tag für Tag mit seiner Staffelei irgendwo im Tropenwald und malt. Aquarelle, die einlullen wie die Hitze, die sich als Weichzeichner auf alles Lebende liegt. Auf seinen Bildern knoten sich Schlingpflanzen um Würgefeigen, schillern Buchten in Türkis und Azurblau, locken Traumstrände in allen Schattierungen. Menschen sieht man in Adams' Werken eher selten.

»Landschaft ist unser Kapital«, sagt der Künstler, den sie hier den Gauguin der Seychellen nennen. Adams, aschgrauer Rauschebart, das leuchtende Hemd spannt über der Brust, spielt auf die Sonderstellung des Inselstaats an. Die sozialistische Regierung gründete Anfang der Achtziger das erste Umweltministerium der Welt. Mehr als die Hälfte der Fläche der 115 Seychelleninseln ist geschützt. Wer hier bauen will, muss Auflagen in Kauf nehmen. »Bäume fällen? No way«, knurrt Adams. Er muss auch künftig nicht um seine Motive fürchten.

Hat Suzanna wegen ihrer kreativen Nachbarn mal daran gedacht, selbst einen Pinsel in die Hand zu nehmen? Die alte Dame lacht, als hätte jemand einen Witz gerissen. Recht hat sie. Was ist schon ein Bild, wenn man selbst die Inspiration für die Künstler ist?

 

Online lesen: Spiegel Online

Foto: Kerstin Walker

Zurück