Reise

Neue Zürcher Zeitung

Zeit für die Malediven

Noch locken sie mit irisierendem Licht und weißen Stränden: die Malediven. Aufgrund der Klimaerwärmung werden sie aber vielleicht in weniger als 100 Jahren im Indischen Ozean untergegangen sein.

Wie eine Handvoll hingestreute Muscheln liegen die Malediven im Meer. Solitäre, erreichbar nur über den internationalen Flughafen von Male. Rund 700 000 Touristen kommen jährlich in dieses Paradies. Die 1192 maledivischen Inseln gruppieren sich zu 26 Atollen. Sie liegen nur etwa anderthalb Meter über dem Meeresspiegel. Wenn dieser steigt, werden sie in weniger als 100 Jahren unter Wasser stehen. Prognosen des Uno-Klimarats gehen davon aus, dass abschmelzende Gletscher und wärmeres Wasser den Meeresspiegel weltweit bis zum Jahr 2100 um 50 Zentimeter ansteigen lassen werden. Ein halber Meter mehr, und die Hauptinsel Male mit ihren mehr als 100 000 Einwohnern würde überspült, und ebenso die rund 100 von Einheimischen bewohnten Inseln. Auch vor den Ferienresorts mit ihren luxuriösen Freiluftrestaurants, exklusiven Spa-Anlagen, Strandvillen und Wasserbungalows würde der Ozean nicht haltmachen.

Ein Wiener Pionier

«Der Anstieg des Meeresspiegels ist nicht einmal das Hauptproblem der Atolle», erklärt Dr. Reinhard Kikinger Abend für Abend interessierten Gästen. «Korallen wachsen ja nach oben. Die Riffe könnten die Inseln schützen.» Der aus Wien stammende Meeresbiologe wurde bereits vor zwölf Jahren auf der Insel Kuramathi im Rashdoo-Atoll eingestellt. Seither warnt er: El Niño habe die Korallenriffe in bleiche Mondlandschaften verwandelt. Das sei ein schrilles Alarmsignal für die Malediven.

In Kikinger sah der einheimische Inselmanager einen Umwelt-Botschafter, der fortan das Bewusstsein seiner Gäste für das geschundene Ökosystem sensibilisieren sollte. Deshalb wurde die «Biostation» entwickelt, eine Art Ferien-Universität unter freiem Himmel. Dort schaltet der Wiener jeweils abends seinen Computer an. Bougainvillea-Hecken nicken mit schweren Blüten zu beiden Seiten des offenen Raumes, der neben der Tauchstation liegt. Die 70 Sitzplätze sind fast immer belegt. Abwechselnd doziert Dr. Reinhard, wie er auf der Insel respektvoll genannt wird, auf Deutsch und Englisch. Kikinger ist überzeugt: «Der Killer für die Malediven-Atolle ist zu warmes Wasser. Erst wenn die globale Erwärmung zum Stillstand kommt, kann ein Absterben der Korallen verhindert werden.»

Längst ist der engagierte Österreicher kein Einzelkämpfer mehr. Andere Resorts beschäftigen ebenfalls Meeresbiologen. Und seit der vor zwei Jahren neu gewählte Präsident Nasheed mit der gesamten maledivischen Regierung abtauchte, um in sechs Metern Tiefe zwischen Korallen und Fischen den Vertrag zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen zu unterzeichnen, ist nachhaltiger Tourismus offiziell in aller Munde.

Doch selbst der Präsident, der vor zwei Jahrzehnten noch für seine Kritik an der damaligen Regierung inhaftiert worden war, ist innerlich gespalten. Er weiss genau, dass ohne den Tourismus – mit all seinen negativen Auswirkungen aufs Klima – die einheimische Wirtschaft schwer zu leiden hätte. Und um die Malediven langfristig vor dem Untergang zu bewahren, müsste nicht bloss die globale Erwärmung gestoppt werden. Gleichzeitig müsste auch sichergestellt werden, dass die fragilen Riffe, welche die Malediven-Atolle wie Deiche umgeben, erhalten bleiben.

Nur noch sieben Inseln?

Diese nicht durch Berührung zu zerstören, schärft man Schnorchlern und Tauchern seit Jahren ein. Zusätzlich treibt man den Bau künstlicher Riffe voran, um die Inseln zu befestigen. Ob symbolische Geste oder ernstzunehmende Hilfsmassnahme – auch Gabriela Vásquez-Chávez gestaltet einen dieser lebenden Schutzschilde auf der im nördlichen Male-Atoll gelegenen Insel Velassaru. «Wir befestigen gefundene und noch vitale Korallenstücke auf stabile Drahtgerüste», erzählt die Mexikanerin. Die Konstrukte haben die Gestalt grosser Schildkröten und werden auf dem Meeresboden verankert. Inwieweit dies tatsächlich zur Erhaltung des maledivischen Ökosystems beitragen kann, wird sich in Zukunft zeigen.

Inzwischen gibt es auch in der Hauptstadt Male Einheimische, die sich um die Zukunft ihres Landes Sorgen machen. Dazu zählt Ali Rilwan, der Direktor der Nichtregierungsorganisation Bluepeace Maldives, die bereits vor 21 Jahren gegründet wurde. Er ist überzeugt: «Statt der 200 bewohnten Inseln wird es 2100 vielleicht nur noch deren 7 geben.» Ähnlich wie auf Hulhumalé, dem künstlich aufgeschütteten Eiland nordwestlich von Male, wolle man für dieses Szenario 7 Inseln mit der besten Infrastruktur auswählen und sie mit Sand aufschütten, abstützen und um zwei bis drei Meter erhöhen. Ein funktionierendes, aber teures Prinzip. Auf Hulhumalé leben mittlerweile mehrere tausend Menschen, für die es auf Male zu eng wurde.

Eindringlich bittet man zudem in den Resorts die Gäste um ein ressourcenschonendes Verhalten. Da wird am Strom gespart, werden Klimaanlagen heruntergefahren und Solaranlagen aufgestellt. Doch ganz ohne Dieselgeneratoren geht es immer noch nicht.

Schwierige Abfallentsorgung

Eine umweltfreundlichere Lösung als die gegenwärtig praktizierte wünscht man sich auch für die Abfallentsorgung, nach wie vor eines der ungelösten Probleme auf den Malediven. Das meiste wird auf Thilafushi, der eigens hierfür erbauten Insel unweit von Male, verbrannt. Die hohen Rauchfahnen sind weithin sichtbar. Dennoch spricht man nicht gerne über das Problem. Touristen, die nachfragen, erfahren: Thilafushi ist «die Insel, die nicht existiert».

Nicht vorhanden ist leider auch das Bewusstsein einiger Gäste für die Umwelt. In dem bereits 1972 eröffneten Resort Kurumba etwa bittet man die Besucher, den selbst verursachten Müll wieder mitzunehmen. Entsprechende Plasticsäcke werden selbstverständlich vom Resort bereitgestellt. Leider zeigt die Erfahrung, dass dieses innovative Angebot nicht wirklich in Anspruch genommen wird – ist es doch für manchen Gast bereits undenkbar, ein Badehandtuch zweimal zu benutzen. Immerhin nehmen Charter-Airlines wie etwa Condor ihren Müll nach dem Flug wieder mit zurück in die Heimat.

Auch von Dr. Kikingers Zuhörern ist der eine oder andere nach der Vorlesung so sensibilisiert, dass er schwer rezyklierbare Abfälle mit nach Hause nimmt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass sich in Zukunft noch viel mehr Menschen Gedanken machen werden, was den Erhalt dieses fragilen Ökosystems angeht. Glaubt man den Worten eines renommierten deutschen Trendforschers, wonach alles, was verschwindet oder vom Verschwinden bedroht ist, in unserer Gesellschaft an Wert gewinnt, dann besteht ja Grund zu gewisser Zuversicht.

www.bluepeacemaldives.org

 zur NZZ:
http://www.nzz.ch/lebensart/reisen-freizeit/zeit-fuer-die-malediven-1.8424113

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